Lost (in) Sassnitz
Am zweiten Tag in Sassnitz wollte ich mir ein paar Lost Places anschauen. Wenn man googelt, wird man feststellen, dass es bis auf die Schlossruine Dwasieden nicht viel gibt. Da sich das schon imposant genug anhörte, machten sich Telle, ihr großer Bruder Chrissi und ich uns auf den Weg dorthin.
Sassnitz hat eine Hauptstraße, der wir gefolgt sind. Ungefähr bei der Hälfte der Strecke ist mir ein großes, leerstehendes Gebäude aufgefallen, das ich mir näher angucken wollte. Man nimmt ja mit, was geht.
Das Haus war hinter einer großen, leeren Wiese mit meinem “Skatepark” (eine Funbox und zwei Quarter-Pipes,- es war winzig) und abgesperrt. Wir sind der Absperrung gefolgt und hinter einigen Büschen stand eines der Gitter einfach offen. Das war erstaunlich einfach.
Die nächsten drei Eingänge zum Gebäude waren allerdings auch abgesperrt, was eine größere Herausforderung darstellte, aber keine Unmöglichkeit. Chrissi und ich sind über das Gitter geklettert, wobei ich mir eine Wunde an der Hand zugezogen habe. Passiert im Eifer des Gefechts. Ich habe mein Equipment ausgepackt und die ersten Bilder gemacht. Chrissi ist wieder rübergeklettert und hat draußen mit Telle gewartet hat, während ich mein Ding gemacht habe.
Ich bin dann weiter rein in das Gebäude und habe mich erstmal ein wenig umgesehen, die Räume begutachtet und eine offene Tür gefunden, die uns das Klettern erspart hätte, wären wir ein paar Meter weiter gegangen. Also: erst schauen, dann klettern. Als ich rausgekommen bin, um den beiden den Eingang zu zeigen, konnte ich meinen Augen nicht trauen.
Der Weg zur Tür war recht bewachsen, und ich wollte die beiden herwinken. Als ich um die Ecke gegangen bin war ich ca. 10 Meter entfernt und musste erstmal verarbeiten, was ich da sah: Die beiden unterhielten sich mit 5 Kindern, die Masken auf hatten. Um mal einen der großen deutschen Dichter der Gegenwart zu zitieren: Ok, cool. 5 Minuten lässt man die beiden alleine, und dann das. Typisch. Als ich weg war, ist folgendes passiert:
Telle und Chrissi standen rum und haben sich dort, wo wir auch reingekommen sind, ein schattiges Plätzchen gesucht. Auf einmal sahen sie aus der Ferne fünf gestalten mit lauter Musik und Masken. Als sich die Blicke trafen, war jeder für einen Moment stumm, nur die Musik war zu hören. Wer macht den ersten Move, das erste Geräusch? Was für eine Reaktion würde das auslösen, was waren das für Menschen?
Chrissi hat ihnen also gewunken. Wie man das so macht, wenn fünf Menschen plötzlich einem gegenüber stehen. Zwei haben zurückgewunken und sind zu ihnen gekommen. Dabei haben sie auch die Musik ausgeschaltet – sehr höflich.
“Was macht ihr hier?”, hat einer der Jungs gefragt. Die Masken haben sie vorsorglich aufgelassen.
“Warten, bis der Tag vorbei ist”, hat Chrissi geantwortet.
Telle musste sich das Lachen verkneifen und sagte: “Wir warten auf jemanden.”
“Ist er in dem Gebäude?”, fragte einer der Jungs.
“Ja”, sagte Telle.
“Ist der böse?”
“Nein, der macht nur Fotos.” (Anm. d. Autors: Titel meiner Biografie ist safe)
Sie haben es glaube ich nicht so ganz verstanden, aber das war in Ordnung, sie sollten ja bald aufgeklärt werden.
Die fünf Jungs haben darüber berichtet, dass sie ja schon öfter hiergewesen seien und beim letzten Mal einen Mann mit einem Messer getroffen haben, vor dem sie weggelaufen sind Das alles, während sie die Masken auf hatten.
“Was hat es mit diesen Masken auf sich?”, fragte Telle.
“Die haben wir auf, damit uns der Mann mit dem Messer nicht erkennt”, sagte einer der Jungs.
“Das macht Sinn.”
“Und warum wartet ihr hier?”
“Er ist bei dem Eingang über das Gitter geklettert”, sagte Telle.
“Dahinter ist auch eine offene Tür, durch die gehen wir immer rein.”
Gg, wp. Aber das habe ich dann ja zum Glück selber rausgefunden, als ich an besagter Stelle stand und die Szenerie nicht ganz glauben konnte.
Ich bin ihnen dann ein bisschen entgegekommen und Telle hat mich über die Situation aufgeklärt. Als die Jungs mich gesehen und mit mir gesprochen haben, haben sie auch langsam die Masken abgenommen. Sie waren zwischen 8-12 (wenn ich das richtig mitbekommen habe) und gemeinsam haben wir dieses Haus erkundet. Sie haben uns verschiedene Räume und den Keller gezeigt, mich über die Arbeit ausgefragt und wir hatten eine Menge Spaß. Die Jungs haben mich sehr an mich selber in dem Alter erinnert, und ich habe mich ein bisschen so gefühlt wie in einer Stephen King Coming-of-Age-Geschichte à la “Stand by Me” (bzw. “The Body”), “Joyland” oder “Es” (ohne den Horrorclown, zum Glück!). Es war ein wundervoller, absurder Tag, in dem zwar einige gute Bilder entstanden sind, aber leider kein Gruppenfoto. Das hatte ich unglücklicherweise ganz vergessen, was ich im nachhinein ein bisschen beruhe. Aber die Erinnerung bleibt zum Glück.
Die am Anfang erwähnte Schlossruine Dwasieden haben wir erst am nächsten Tag abgelichtet, dazu aber mehr im Post kommende Woche.
Jetzt aber genug Sentimentalität, hier sind die Bilder von diesem ereignisreichen Tag. Viel Spaß: